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Fr, 08:54 Uhr
06.10.2017
Bundestagswahl 2017:

Die neue Konfliktlinie der Demokratie

Die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung ist 2017 zum ersten Mal seit 1998 wieder spürbar gesunken. Der Grund dafür sind vor allem Mobilisierungserfolge der AfD in den sozial prekären Nichtwählerhochburgen. Durch diesen „AfD-Effekt“ ist die Wahlbeteiligung in den sozial prekären Stimmbezirken mit der geringsten Wahlbeteiligung überdurchschnittlich angestiegen...

Grafik (Foto: Bertelsmann Stiftung) Grafik (Foto: Bertelsmann Stiftung)
Parallel zeigt sich eine neue Konfliktlinie der Demokratie, die quer durch die Wählerschaft zwischen Modernisierungsskeptikern und -befürwortern verläuft. Diese Entwicklungen bleiben nicht ohne Nebeneffekte: Etablierte Parteien verlieren im Milieu der bürgerlichen Mitte Wähler und erreichen im sozial prekären Milieu kaum noch Menschen. Das sind die Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann Stiftung , die erstmals das Wahlverhalten der sozialen Milieus bei einer Bundestagswahl analysiert hat.

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Die gestiegene Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl hat zu einer spürbaren Verringerung ihrer sozialen Spaltung geführt. Die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung beschreibt, wie stark die Wahlbeteiligung vom sozialen Profil eines Stimmbezirks abhängt. Ist die Wahlbeteiligung in wirtschaftlich und sozial starken Wohnvierteln sehr hoch und gleichzeitig in wirtschaftlich schwachen Vierteln sehr niedrig, ist dies Ausdruck einer hohen sozialen Spaltung der Wahlbeteiligung. Diese Spaltung hat sich 2017 gegenüber der vergangenen Bundestagswahl auf 26,7 Prozentpunkte verringert (2013: 29,5 Prozentpunkte).

„Eine derartige Verringerung der sozialen Spaltung haben wir zuletzt 1998 beim Wahlsieg der SPD beobachtet. 2017 ist es vor allem der AfD gelungen, Nichtwähler und Wähler aus sozial prekären Stimmbezirken in großem Stil zu mobilisieren“, erläutert Robert Vehrkamp, Demokratieexperte der Bertelsmann Stiftung und Autor der Studie.

Kampf um die bürgerliche Mitte

Im Kampf um das Milieu der bürgerlichen Mitte macht die AfD vor allem der CDU/CSU Konkurrenz. In diesem Milieu erreichte die AfD ein Ergebnis in Höhe von 20 Prozent aller Wählerstimmen, ein Zuwachs gegenüber 2013 um 14,6 Prozentpunkte. Gleichzeitig hat die CDU/CSU hier den höchsten Verlust aller Parteien in einem Einzelmilieu erlitten (-15 Prozentpunkte). Bei einem geschätzten Nichtwähleranteil in Höhe von etwa 24 Prozent haben bei der Bundestagswahl 2017 damit etwa 40 Prozent aller Wahlberechtigten aus der bürgerlichen Mitte entweder gar nicht oder die AfD gewählt.

Das wirkt sich auch auf die rechnerischen Koalitionsmehrheiten aus: Eine Große Koalition würde nur noch etwa 42 und eine Jamaika-Koalition nur noch 39 Prozent aller Wahlberechtigten aus der bürgerlichen Mitte repräsentieren. „Die etablierten Parteien verlieren in der bürgerlichen Mitte deutlich an Terrain. Der Kampf um die Mitte hat sich massiv verschärft“, so Vehrkamp.

Erosion im sozial prekären Milieu

Im sogenannten Milieu der Prekären, einem Milieu der sozialen Unterschicht, verläuft der demokratische Erosionsprozess der etablierten Parteien inzwischen rasant. In diesem Milieu lag die geschätzte Wahlbeteiligung bei nur etwa 58 Prozent aller Wahlberechtigten und damit fast 20 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der Gesamtwahlbeteiligung.

Gleichzeitig kam die AfD im prekären Milieu auf ihr stärkstes Ergebnis in Höhe von 28 Prozent aller Wählerstimmen. Damit haben in diesem Milieu gut 63 Prozent aller Wahlberechtigten entweder gar nicht, eine sonstige Partei oder die AfD gewählt. „In keinem anderen Milieu ist der Erosionsprozess der etablierten Parteien und die Dominanz der Nicht- und Protestwähler so weit fortgeschritten wie im prekären Milieu“, kommentiert Klaudia Wegschaider, Demokratieexpertin der Bertelsmann Stiftung und Mitautorin der Studie.

Neue Konfliktlinie der Demokratie

Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse eine neue Konfliktlinie der Demokratie: Die Spaltung der Wählerschaft verläuft mittlerweile zwischen den Skeptikern und Befürwortern der Modernisierung und hat auch das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl entscheidend geprägt. In modernisierungsskeptischen Milieus identifizieren sich die Menschen mit Begriffen wie „Tradition“ oder „Besitzstandswahrung“. Für modernisierungsoffene Milieus sind dagegen „Grenzüberwindungen“ und „Beschleunigung“ prägende Begriffe.

Knapp zwei Drittel aller AfD-Wähler (65 Prozent) kommen aus Milieus, die eher modernisierungsskeptisch sind: „Die AfD wurde ganz überwiegend von Menschen gewählt, die der sozialen und kulturellen Modernisierung zumindest skeptisch gegenüberstehen“, so Vehrkamp. Damit hat die AfD im Parteienspektrum ein Alleinstellungsmerkmal. Denn die Wähler aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien gehören mehrheitlich einem der Milieus der Modernisierungsbefürworter an: knapp 52 Prozent der Wähler der CDU/CSU, gut 56 Prozent bei der SPD und 59 Prozent bei der FDP. Bei den Linken sind es bereits 62 Prozent und bei den Grünen 72 Prozent. Die Wähler der Grünen weisen damit den höchsten Anteil aus den Milieus aus, die der sozialen und kulturellen Modernisierung der Gesellschaft eher positiv gegenüber stehen.

Nach diesen Ergebnissen würden bei einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD 53 Prozent ihrer Wähler aus den Milieus der Modernisierungsbefürworter stammen, und 47 Prozent aus den Milieus der Modernisierungsskeptiker. Bei einer Jamaika-Koalition würde dieses Verhältnis mit 57 zu 43 Prozent deutlicher zugunsten der modernisierungsfreundlichen Milieus ausfallen. Ob und wie sehr daraus ein Konflikt der AfD gegen das etablierte Parteiensystem entstehe, sei noch völlig offen. Viele der anstehenden politischen Kontroversen könnten allerdings entlang dieser Konfliktlinie verlaufen und ausgetragen werden, so Vehrkamp.
Autor: red

Kommentare
ScampiTom
06.10.2017, 09.48 Uhr
Modernisierung
ich sehe keine Modernisierung der Gesellschaft durch die Etablierten, nur unüberlegte Schnellschüsse, die viel Geld kosten und zu deren Korrektur die Verantwortlichen nicht bereit sind. Vorwärts immer, Rückwärts nimmer scheint das Motto.
Ornata
06.10.2017, 10.02 Uhr
Moderniesierung
Was ist mit der s.g. Modernisierung gemeint? Ein weiter so nach den alten Mustern des Raubtierkapitalismus? Eine Globalisierung die massenhaft s.g. „Verlierer“ hervorgebracht hat. Großkonzerne die in Steueroasen flüchten. Bisher ist leider abzusehen, dass uns die Modernisierung und die Beschleunigung in die Katastrophe führen. Noch nie waren die Probleme der Welt so groß wie bisher und keiner der s.g. Eliten hat auch nur Lösungsansätze parat. Ständiges Wachstum in einer durch endliche Ressourcen begrenzten Welt kann nicht gutgehen. Abkopplung ganzer Bevölkerungsschichten, Not und Elend in der s.g. „Dritten Welt“ keine Pläne und wirkliche Ansätze die Fluchtursachen zu bekämpfen führt uns zwangsläufig in das Desaster. Unter den Aspekten ist es verständlich, dass viele Menschen der sozialen und kulturellen Modernisierung zumindest skeptisch gegenüberstehen. Leider habe ich bisher vermisst, dass die Politiker ersthafte Lehren aus den Wahlergebnissen ziehen. Modernisierung ja, aber bitteschön für alle (oder zumindest möglichst viele) Menschen und für den Erhalt unserer Umwelt. Bisher habe ich die Hoffnung noch nicht vollständig verloren, dass wir die Kurve doch noch kriegen.
N. Baxter
06.10.2017, 10.05 Uhr
Q&A
"Ein Balken geht durchs Land". Ja, genau so lautete die Schlagzeile gleich zu Beginn des Tages und war auch gleich Diskussionsthema im Kollegenkreis. Übrigens in anderen Medien mit entsprechender Grafik, was beim Einordnen ins eigene Mileu deutlich hilft. (vielleicht kann die NNZ nachbessern)

Interessant an der Studie diesmal: "Und die Studie hält eine weitere gute Nachricht bereit: Sie zeigt, dass unterschiedliches Wahlverhalten weniger davon abhängig ist, ob ein Wähler im Osten oder im Westen lebt, sondern stärker davon, welchem Milieu er angehört"
Hieraus ergibt sich aber folgende interessante Frage: "Viel wichtiger, spannender und wahrscheinlich auch leichter zu beantworten ist, warum bestimmte Milieus in Ostdeutschland stärker vertreten sind als in Westdeutschland." Manche können es sich bestimmt denken....
Noch eins: Wo kommen die Daten? Aus dem Wahlkreis? Heißt das wiederum die Wahlkreise werden in Mileus unterschieden? -> Dann gehöre ich wohl doch nicht zu den konservativ-etablierten...
Herr Schröder
06.10.2017, 10.23 Uhr
Neuwahlen? Nein zu Jamaika!
Den Raum, den DIE LINKEN links von der SPD einnehmen wird die AfD künftig rechts von der CDU einnehmen. Die „bürgerliche Mitte“ dünnt zusehends aus, SPD und CDU überlasse das rechte bzw. linke Feld neuen Parteien und das politische Volk tendiert wieder mehr in rechte und linke Lager. Gauland hat Recht, wenn er sagt: „Dieses Land ist gespalten.“
Die Positionierung der AfD wird, wie bei den LINKEN, einige Jahre dauern, aber sie wird kommen. Voraussetzung ist natürlich die Entwicklung der AfD. Diese tun gut daran ihre Selbstzerfleischung zu beenden und ihre Inhalte zu profilieren. Sonst sind sie genauso schnell weg wie die PIRATEN! Die SPD geht nicht ohne Grund in die Opposition. Ein klares Entgegenkommen in Richtung DER LINKEN. Man hat jetzt vier Jahre Zeit mit den LINKEN gemeinsame Oppositionsarbeit zu organisieren um dann bei der kommenden Bundestagswahl ein Rot / Rotes Bündnis einzugehen. Von daher ist es von der CDU ein riesen Fehler mit Merkel in ein Bündnis mit der FDP und den Grünen zu gehen. Das wird noch mehr CDU Wähler zur AfD treiben. Deshalb, wie schon anfangs gesagt, sollte sich die AfD schleunigst auf ihre Arbeit konzentrieren und sich zu einer koalitionsfähigen Partei entwickeln. Als erstes sollte man sich von rechtsextremen Köpfen wie Björn Höcke trennen. Diese Typen schaden dem Ansehen der AfD rücken die Partei in ein völlig falsches Licht. Wir brauchen im Bund einen Gegenpol zu Rot / Rot (Grün). Und der kann in Zukunft nur aus einer CDU (unter neuer Führung und politischer Ausrichtung) und der AfD bestehen.

Aktuell wünsche ich mir Neuwahlen. Es kann und darf kein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen geben. Spätestens dann sollt Horst Seehofer Flagge zeigen und die Union verlassen. Eine CSU hat ohnehin mehr Schnittmengen mit der AfD als mit der Merkel-CDU und schon gar keine mit den Grünen! Da kommendes Jahr in Bayern gewählt wird und die CSU so langsam in den Wahlkampfmodus triftet, sind die Chancen gar nicht so schlecht!
ScampiTom
06.10.2017, 10.41 Uhr
die Grafik
zeigt, das in den Milieus oberhalb die Minderheit ist, die den mist der verzapft wird erwirtschaften, Aber wenn das letzte Autowerk zu ist und kein Kraftwerk mehr qualmt kommt die auch wieder auf den Boden zurück.
Andreas Dittmar
06.10.2017, 18.09 Uhr
Meistens am Wähler vorbei
Der einfache Leser wird diese Studie auch mit Erkläungen und Anmerkungen schwer verstehen. Wenn ich es richtig verstehe, ist ein großer Anteil der AfD-Wähler laut dieser Studie im prekären Millieu also der sozialen Unterschicht zu finden mit steigender Tendenz aber auch in der bürgerlichen Mitte, wobei man hier noch um die Wählergunst bemüht ist. Modernisierungen (neuen Technologien ?) steht er skeptisch gegenüber. Da ja die etablierten Parteien viele Wähler von der AfD zurückholen wollen, sollte man an Hand dieser Studie erkennen wo Handlungsbedarf liegt. Etwas mehr Zeit statt Geld in die Modernisierung stecken und dem prekären Millieu den Aufstieg in die bürgerliche Mitte ermöglichen, um ihn dann hier abzuholen.
Liebe CDU zB. : Eure stetig weniger werdende Wählerschaft macht bei euch noch das Kreuz, weil sie konservative Politik erwarten. Wenn man 8% Verluste einfährt und den Juniorpartner verliert, der auch ordentlich Federn lassen musste, hat man möglicherweise Fehler gemacht, über die man reden sollte. Jetzt neu mit Jamaika durchzustarten und nebenbei weiterhin altbewährtes AfD-Bashing auch im Bundestag betreiben, wird den Abwärtstrend nicht stoppen. Jetzt kommen ja noch die Koalitionsverträge. Bin echt gespannt, was da an Wahlversprechen geopfert wird und wie man es dem Wähler dann erklärt.
N. Baxter
06.10.2017, 20.35 Uhr
wie Fliegen an der Sch****
"Bin echt gespannt, was da an Wahlversprechen geopfert wird und wie man es dem Wähler dann erklärt."
-> richtig, am Ende sind doch alle nur auf irgendwelche M-Posten aus. DIe Spatzen twittern es doch bereits von den Dächern. Es wird einen Deal zw. Grünen und CSU (CDU) in Fragen der Asylplotik geben. Am Ende wird es nur Verlieren geben: das Volk was mehrheitlich eigentlich etwas anderes gewählt und erwartet hat, die Grünen und auch die CSU (CDU) die nicht ihrer Linie treu bleiben können und auch damit wieder Wähler verprellen!
Leser X
07.10.2017, 10.59 Uhr
Fischen am rechten Rand
Seehofer sagte gleich nach der Wahl "wir haben verstanden". Das war durchaus als Bedrohung für die Reste deutscher Demokratie zu verstehen.

Wie wir inzwischen durch viele Äußerungen von CDU/CSU-Granden vernehmen mussten, hat man es auf rechte Wähler abgesehen. Die will man sich angeln, indem man den beklagten Rechtsruck an sich selbst vollzieht und damit den Parolen der AfD zum Sieg verhilft.

Diese Prinzipienlosigkeit erinnert an die Geschäftspraxis von Discountern. Andere unterbieten - Hauptsache billig.
Tor666
07.10.2017, 12.21 Uhr
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