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Wirtschafts- und Umweltkriminalität

Abgasskandal gegen uns alle

Freitag, 04. August 2017, 15:04 Uhr
Der VW-Konzern habe in seiner brasilianischen Niederlassung während der 70er und 80er Jahre aufmüpfige Arbeiter den Schergen der damaligen Diktatur zugeführt. Es habe Misshandlungen von Widerständlern auf dem Betriebsgelände gegeben und eine rege Zusammenarbeit zwischen Konzern und Regime. Manche der früheren VW-Mitarbeiter seien bis heute verschwunden...


Die Zeitungen überschlagen sich derzeit mit neuen Hiobsbotschaften über die Aushängeschilder deutscher Wirtschaftswunder, so als habe es bisher immer nur verantwortungsvolle Saubermänner bei VW, Daimler, Audi und Co gegeben. Saubermänner, die Autos mit Verbrennungsmotor und erlogenen Emissionswerten z.B. als per se umweltfreundlich bewarben und vor allem millionenfach verkauften.

Saubermänner, die dabei vor allem auf ein funktionierendes System von Ignoranz und wohlwollenden Netzwerken bis hin in höchste politische Kreise setzen konnten. Über den jüngsten Diesel-Gipfel von Vertretern der Konzerne und der Politik sagte ein Abgeordneter sinngemäß unter anderem, dass dort ja die Ganoven unter sich seien. Richtig: Immer wieder beschwerten sich Automanager zum Beispiel über die CO2-Reduktionsziele auf EU-Ebene und fanden in Kanzlerin Merkel eine willige Vollstreckerin des Konzernwillens.

Das Kraftfahrtbundesamt als Teil dieses infamen Netzwerks hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, die exorbitant erhöhten NOx-Emissionen zahlreicher Autos außerhalb des Labors zu erkennen. Aber es wurde vertuscht und es wurde sich auf geltendes Recht berufen, nachdem es korrekt war, nur im Labor zu messen – wo die kriminelle Software die Emissionswerte unter den Grenzwert drückt.

Und selbst als der Dieselskandal längst auf den Titelseiten der Presse angekommen war, funktionierte das Verbrechernetzwerk: Das KBA vertuschte monatelang die überhöhten Emissionswerte des Porsche Cayenne.

Die arme Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wurde immer wieder zurückgepfiffen, wenn sie sich einmal traute, rigoroser als bisher, das Erreichen von Reduktionszielen voranzutreiben. Sie muss dies oft als demütigend empfunden haben.

Und dabei geht es hier ja nicht um Peanuts, sondern um drei-, fünf, ja zehnmalhöhere Noxe-Emissionen, als der Grenzwert vorgibt. Vorsätzlich setzten und setzen Automanager die Gesundheit von Millionen Menschen weltweit aufs Spiel und sie schädigen die Umwelt, da Stickoxide einen entscheidenden Beitrag zur Eutrophierung unserer Ökosysteme und damit zur Artenverarmung, zu lebensfeindlichen, sauerstoffarmen Zonen in den Meeren und zur Verseuchung des Grundwassers gemeinsam mit der Landwirtschaft beitragen.

Doch dies wird selbst jetzt noch von der Politik nicht wirklich anerkannt: In einem jüngst erschienenen Bericht des Bundes steht, dass gesundheitliche Auswirkungen erhöhter Noxe-Werte nicht erwiesen seien. Und das, obwohl andere Studien tausende Tote jährlich als Folge von Noxe-bedingten Lungen- und Herz-Kreislauferkrankungen herausstellen. Das Lügen und Betrügen scheint System zu haben: Am Wirtschaftsstandort Deutschland kann nicht sein, was nicht sein darf, das kannten wir schon aus der DDR.

Wer mal Chemie studiert hat, dem sträuben sich bei so viel Ignoranz des Bundes die Haare: Die seit Jahrzehnten bekannte Beteiligung von Noxe an der Smogbildung (Photosmog) wird öffentlich derzeit kaum thematisiert. Der Stoff PAN (Peroxyacetylnitrat) aber enthält gebundene Stickoxyde, die über komplizierte Reaktionen mit meist von Pflanzen erzeugten, natürlichen organischen Verbindungen unter UV-Einfluss entstehen und, da hochreaktiv, auch menschliche Zellen angreifen.

Wenn wir in diesem Jahr mehr Hochdruckwetterlagen hätten, wäre dies, ebenso wie der auch von NOx-mit bedingte Ozon-Smog wieder ein Thema. Welch Glück für Zetsche, Müller, Stadler und Merkel, dass das Wetter in diesem Jahr halbwegs normal ist.

Trotz des Skandals, und das ist der Skandal im Skandal: Weiterhin rollen Autos von den Bändern, die die Grenzwerte zu Papiertigern verkommen lassen. Kein Besitzer einer solchen Dreckschleuder ist nach dem Dieselgipfel verpflichtet, ein Softwareupdate gegen die hohen Emissionen vornehmen zu lassen. Von einzig massiv wirksamen Hardwareeingriffen distanzierten sich wiedermal mit Erfolg die Manager. Demzufolge war der Gipfel für die Umwelt und die Volksgesundheit umsonst.

Die Politik akzeptierte die Konzernwünsche, wie schon so oft. Die Konzerne sollen doch ihrer verdammten Verantwortung gerecht werden, hatte Verkehrsminister Dobrindt noch Tage vor dem Gipfel getönt, wo er dann vor den Diktatoren aus Wolfsburg, Rüsselsheim und Stuttgart einknickte. Denn diese haben längst die Zukunft im Visier: Mit Abwrackprämien für Dreckschleudern gegen NOx heißt die Devise, das schont die Luft und erst recht die Ressourcen des Planeten. Und Profit ist damit auch noch möglich, Extraprofit für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Ganz sicher sollten sich die Herren aber nicht sein, dass ihre Rechnung erneut aufgeht: Derzeit treibt die Deutsche Umwelthilfe die Konzerne mehr vor sich her, als die Politik – mit unumstößlichen Fakten: http://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Projektinformation/Verkehr/dieselgate/Wintermessungen_2016_2017/170329_EKI-Bericht_NOx-_und_CO2-Wintermessungen_EKI_DUH_01.pdf. Sie gewinnt einen Prozess nach dem anderen gegen die Wirtschaft und es kann sein, dass letztere durch ihr Missmanagement am Ende Schuld ist am vorzeitigen Aus für den Diesel, für tausende Arbeitslose mehr und für den Siegeszug des Elektroautos aus China. Dort ist man weniger antiquiert, als hier.

Derweil stellt die US-Justiz einen Haftbefehl nach dem anderen gegen Automanager aus Deutschland aus. Einzelne sitzen dort in Untersuchungshaft und wollen auspacken über das unseelige Konglomerat aus Betrug an der Umwelt, am Kunden, ja an der Gesellschaft. Und ich persönlich hoffe, dass sich auch in Deutschland die Konzernspitzen vor Gericht verantworten müssen.

Bei allem wird jedoch eines vergessen: Wer in der DDR gelernt und studiert hat, weiß, dass es der Kapitalismus als Ganzes ist, der Verbrechen an Mensch und Umwelt garantiert. Weltweit und ständig, an den letzten Naturvölkern in den letzten Regenwäldern, an Bauern im Sudan und Nigeria, die wegen des Klimawandels ihre Felder nicht mehr bestellen können, daher flüchten müssen oder Boko Haram zugetrieben werden, an den Meeren, den Böden und Wiesen, an der Luft und letztlich an den Arbeitern, wie wir bei VW in Brasilien beobachten können.

Wer so tut, als sei der Abgasskandal ein einziges, singuläres Verbrechen, steckt den Kopf in den Sand. Denn überall gilt: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Kombinationsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Karl MARX: Das Kapital. Erster Band. In MEW, Bd. 23, S. 529/530).
Bodo Schwarzberg
Anmerkung der Redaktion:
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Autor: red

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