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Antrag auf Landtagsauflösung wird nicht eingereicht

Keine Neuwahlen in Thüringen

Freitag, 16. Juli 2021, 18:30 Uhr
Was die Spatzen seit Wochen nicht nur von den Erfurter Dächern pfiffen, sondern auch wir schon thematisierten wurde heute zur traurigen Gewissheit: die nach der wiederholten Ministerpräsidentenwahl im Februar 2020 von LINKE, SPD, GRÜNE und CDU versprochene Neuwahl des Thüringer Landtages wird es nicht geben…

Kein Stühlerücken in einem neuen Landtag: Die Wahl fällt aus!  (Foto: nnz-Archiv) Kein Stühlerücken in einem neuen Landtag: Die Wahl fällt aus! (Foto: nnz-Archiv)

Nachdem es im vergangenen Februar bei der Wahl des Ministerpräsidenten in Erfurt zum Eklat gekommen war und der gewählte FDP-Politiker Thomas Kemmerich einen Tag später von seinem Amt zurücktrat, hatten die rot-rot-grüne Minderheitsregierung und die Thüringer CDU in einem so genannte Stabilitätspakt beschlossen, im Jahre 2021 eine Neuwahl des Thüringer Parlaments abzuhalten. Der erste Termin im Frühjahr scheiterte an der Corona-Krise, der geplante zweite im September scheitert nun an einer Demokratie-Krise.

Weder konnte die CDU-Fraktion ihr Versprechen einhalten, geschlossen für die Auflösung des Landtags zu stimmen, noch wollten die rot-rot-grünen Abgeordneten sich auf die Stimme einer abtrünnigen FDP-Fraktionärin verlassen, die sie zudem im Verdacht haben, eine „Querdenkerin“ zu sein.

Zur geplanten Abstimmung am Montag, in der es einer Zweidrittelmehrheit bedurft hätte, um den Landtag aufzulösen, fehlte nun zusätzlich die Stimme einer verunfallten LINKE-Abgeordneten, die sich angeblich im Krankenhaus befindet. Medien berichteten aber auch übereinstimmend von „zwei Wackelkandidaten“ in den Reihen der regierenden LINKEN.

Klar positioniert hatten sich vor der Sondersitzung am Montag die verbliebenen vier FDP-Abgeordneten, die sich enthalten und die acht SPD-Abgeordneten, die einer Auflösung des Landtags wie geplant zustimmen wollten.

In den Reihen der CDU vermuteten Insider in den letzten Wochen mehr als nur vier Abweichler und so wurde wieder einmal das ungewisse Abstimmungsverhalten der AfD-Fraktion mit ihren 22 Abgeordneten zum Problem für die Thüringer Demokratie. Nach dem „Dammbruch“ im letzten Jahr, als die Alternativen geschlossen den FDP-Kandidaten unterstützten und zum Ministerpräsidenten kürten, befürchten die regierenden Parlamentarier nichts mehr, als noch einmal durch die AfD vorgeführt zu werden.

Die AfD hatte sich von Anfang an gegen Neuwahlen ausgesprochen und würde nach den letzten Umfragen von INSA Mitte Juni ihren Stimmenanteil bei Neuwahlen ebenso halten wie SPD, CDU und GRÜNE. Verbessern würde sich bei einer Neuwahl nur die FDP (+2 Prozentpunkte) und als einzige Partei mit Verlusten ginge demnach die LINKE mit -5 Prozentpunkten aus einem Urnengang hervor.

Es bleibt reine Spekulation, wer am Montag in der namentlichen Abstimmung wie votiert hätte. Aber die Befragung der vom Thüringer Volk gewählten Parlamentarier wäre ein Zeichen für eine funktionierende Demokratie gewesen und für die Verlässlichkeit von Politikeraussagen.

So aber ist dieser Freitag ein ganz schwarzer für die Wähler, für Thüringen und für die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland geworden. Die Frage bleibt, was denn passiert, wenn sich die Wahlpräferenzen der Thüringen nicht in den nächsten zwei Jahren grundlegend ändern und im nächsten Urnengang wieder ein Viertel AfD und ein Viertel LINKE wählen. In den Kommentarspalten des mdr hat ein Nutzer schon einen recht drastischen Vorschlag geäußert, den man ja nicht unbedingt sofort umsetzen muss. Überlegenswert scheint er nach der heutigen Verweigerung der regierenden Sozialisten aber schon: „Für mich bleibt bei Ablehnung der Neuwahlen nur die Auflösung des Freistaates Thüringen und die Aufteilung auf die benachbarten Bundesländer zu fordern!“
Olaf Schulze

Im folgenden haben wir Ihnen die ersten uns übermittelten Stimmen zur Wahlabsage zusammengestellt:
Information des Landtags an seine Mitglieder:
Sondersitzung findet nicht statt
 
Antrag auf Landtagsauflösung hat nicht mehr die nötige Unterstützung
 
Von den 30 Antragsteller*innen, die nötig sind, um den Antrag auf Auflösung des Landtags zu stellen, hat ein Abgeordneter seine Unterschrift zurückgezogen. Damit wird das Quorum nicht mehr erreicht. Die für Montag (19. Juli) geplante Sitzung des Landtags findet deshalb nicht statt.
 
Birgit Keller, Landtagspräsidentin: „Alle Abgeordneten stehen in der Verantwortung, nun eine tragfähige Lösung für Thüringen zu finden. Der Landtag ist Zentrum des politischen Handelns und der Demokratie. Ich kann nachvollziehen, dass sich viele Menschen ein klares Vorgehen gewünscht hätten. Und genauso verstehe ich die Abgeordneten, denen ihre Entscheidung schwergefallen ist. Was wir jetzt brauchen, ist ein starkes Parlament, das uns durch die großen Herausforderungen führt, die durch die Pandemie in allen Bereichen entstanden sind. Das ist jetzt die Aufgabe.“

Matthias Hey (SPD-Fraktionsvorsitzender):
„Das Ergebnis ist ernüchternd. Das Zurückziehen des Antrages auf Neuwahlen seitens unserer Koalitionspartner nehmen wir zur Kenntnis. Sie ist die ehrlichste Konsequenz, wenn man erkennt, dass es keine Mehrheit für die Landtagsauflösung von denen gibt, für die die Werte und Regeln der Demokratie die oberste Handlungsgrundlage sind.
 
Für meine Fraktion stand immer fest: Wir brauchen eine klare Antwort auf die Krise, die das Ja von Thomas Kemmerich am 5. Februar des letzten Jahres ausgelöst hat. Unser Wunsch war immer, die Wählerinnen und Wähler in diese Antwort einzubeziehen. Das bleibt unser Anliegen. Doch acht von sechzig Stimmen genügen dafür nicht.
 
Als SPD-Fraktion stehen wir deshalb bereit, mit allen demokratischen Kräften dieses Parlaments in Verhandlungen einzutreten, wie es zukünftig in Thüringen weitergeht. Unsere Hand ist dazu ausgestreckt."


Björn Höcke, Vorsitzende der AfD-Fraktion,:
 „Jetzt ist es amtlich: Rot-Rot-Grün und die CDU haben dem Thüringer Wähler dreist ins Gesicht gelogen. Mit ihrem politischen Kuhhandel und dem folgenden zweijährigen Gezerre haben Ramelow und Voigt den Freistaat Thüringen zum Gespött der Republik gemacht. Wenn Herr Ramelow noch einen Rest Anstand in den Knochen hat, muss er unverzüglich die Vertrauensfrage stellen.“

Thomas L. Kemmerich, Vorsitzender der FDP-Fraktion:
„Hier und heute ist nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Jetzt kommt es vielmehr darauf an, im Interesse des Landes den Blick nach vorn zu richten. Wir Freie Demokraten werden uns weiterhin konstruktiv in die parlamentarische Arbeit einbringen. Der Freistaat benötigt nach der Pandemie eine uneingeschränkte Handlungsfähigkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass Schule ab September wieder reibungslos stattfinden."

Dieter Bauhaus, IHK-Präsident:
 „Die politische Selbstbefassung in Thüringen ist nun hoffentlich vorbei – zu groß sind die ökonomischen Herausforderungen. Die von der Wirtschaft stets eingeforderten Attribute, wie Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit habe ich im letzten halben Jahr im politischen Thüringen sträflich vermisst. Die Wirtschaft braucht eine Mehrheit für den Landeshaushalt 2022. Hier lautet die Forderung, dass jeder über seinen Schatten springen muss, um Sicherheit für die Wirtschaft zu gewährleisten. Unter keinen Umständen darf der Landeshaushalt 2022 aufgrund politischer Instabilität gefährdet sein. Abgeordnete - gleich welches Parlament - sind den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet und nicht sich selbst. Ferner sind zum Vertrauensbeweis in Politik vereinbarte Abstimmungen gegenüber den Wählern einzuhalten.“

Justus Kehrl, Landesvorsitzender des Bundes der Steuerzahler Thüringen:
„Es ist schade, dass die notwendigen Stimmen zur Auflösung des Landtags, wie im Stabilitätspakt zwischen Rot-Rot-Grün und der Thüringer CDU vereinbart, nicht zusammengekommen sind und seit Wochen die Schuld dafür von einem Schuh in den anderen geschoben wird. Damit leisten alle Fraktionen der Politikverdrossenheit, besonders aber dem schwindenden Vertrauen in die politischen Verantwortungsträger einen Bärendienst. Wir brauchen im Freistaat eine handlungsfähige Regierung, die den Haushalt für das kommende Jahr plant und den Institutionen und Steuerzahlern Planungssicherheit gibt. Alle demokratischen Fraktionen tragen dafür Verantwortung, dass eine Neuwahl des Landtags nun nicht mit der Bundestagswahl am 26. September durchgeführt werden kann. Damit wird nicht nur diese Legislatur teurer, weil sie länger andauert, sondern auch die separat abzuhaltenden Wahlen. Als Vereinigung der Steuerzahler zeigen wir uns enttäuscht über die Verantwortungslosigkeit der politischen Akteure.“

Michael Rudolph, DGB-Bezirksvorsitzender:
"Mit der Absage an Neuwahlen wird der Demokratie in Thüringen ein Bärendienst erwiesen. Der Rückzug kanne dazu führen, dass sich Menschen von der Politik abwenden und das Vertrauen in die Demokratie verlieren.“
Autor: osch

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