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Politiker ohne Rückgrat

Herr Merz entschuldigt sich

Mittwoch, 28. September 2022, 07:00 Uhr
Wer macht heute Politik? Das Netz, die sozialen Medien? Vor allem Twitter? Man kann da schon in der Beantwortung dieser Fragen schwanken. Fakt ist jedoch, Politiker haben zwar eine eigene Meinung und somit ein gewisses Rückgrat, doch das hat eine immer kürzere Halbwertszeit. Siehe aktuell F.M.

Merz in Nordhausen vor knapp drei Jahren (Foto: nnz) Merz in Nordhausen vor knapp drei Jahren (Foto: nnz)
Zugegeben, ich habe in meinem Leben noch nie CDU gewählt. Obwohl ich schon des Öfteren in Versuchung geriet. Dann war es doch immer "im Zweifel links", also nicht SPD. Bis 2015, als der große Marsch auf Einladung von einer ehemaligen Bundeskanzlerin Fahrt aufnahm und bis heute nicht endet, für die Linke jegliche Nationalität wichtiger schien als die eigene Nation.

Also beobachtete ich immer mal wieder die Christlich Demokratische Union. Vor allem deren Personal, das - außer einer Pfarrerstochter aus dem Osten - sowas von beliebig und austauschbar war, dass die Macht der Angela M. endlos schien. Und es schien so, als ob Angela M. auch nach ihrer Amtszeit als große Vorsitzende quasi aus dem Off regierte. Sie schob die Figuren in ihrem System mit einem einzigen Ziel hin und her: dem Erhalt ihres Nimbus.

Dabei, das ist bekannt, war ihr die eigene Partei egal, die Mitglieder sowieso und das Land - geschenkt. Doch nach Kramp Karrenbauer und Laschet als Figuren kam dann endlich - die Mitglieder wollten es so - Friedrich Merz. Er galt als der Rest des konservativ Möglichen, der Rückbesinnung auf die Werte der CDU. Er wollte und sollte die CDU zu alter Stärke führen, sozusagen den Markenkern der Partei vor der Kernschmelze bewahren.

Das alles scheint schon wieder Lichtjahre her zu sein und das Konservative ist laut eines MP ja nicht mehr Teil des Markenkerns und soll es auch nie gewesen sein, dafür vermutlich das Verbiegen und Anpassen an die jeweilige Stimmungslage. In einem kurzen Moment vergaß Herr Merz das System des Systems und sprach das Unwort des Jahres 2013 aus: Sozialtourimus. Noch schlimmer, er unterstellt ukrainischen Kriegsflüchtlingen, dass sie immer mal wieder in ihre Heimat fahren würden. Dort vielleicht nach dem Rechten in ihrer Wohnung oder im Hausgarten schauen oder so.

Und wenn dann im Kriegsgebiet alles "in Ordnung" ist, dann kommen sie wieder zurück, denn sie erhalten in Deutschland sofort das Geld, das ein Harz-IV-Empfänger bekommt. Das ist gegenüber den Löhnen und Gehältern in ihrem Heimatland das Paradies, denn auch Unterkunft und Heizung werden zusätzlich bezahlt. In der Ukraine sieht das mit dem Verdienst ein wenig anders aus. Laut Wikipedia nämlich so: "Das niedrigste Lohnniveau müssen Krankenschwestern, Verkäufer, Fahrer und Näherinnen hinnehmen. In der Gesundheitsfürsorge beträgt das Durchschnittsgehalt 5.747 UAH (ca. 179 Euro), bei lehrenden und ausbildenden Berufen 6.958 UAH (ca. 217 Euro)."

Menschlich ist die deutsche Magnetwirkung überaus verständlich und nachvollziehbar. Im Gegensatz zur Flüchtlingswelle der Jahre 2015 bis 2017 gibt es einen gewaltigen Unterschied: die Ukrainer können die Mobiltätsangebote des modernen Deutschlands nutzen. Ich glaubte es anfangs nicht, dachte an eine Desinformationskampagne von Putin und dessen Vasallen in diesem Lande. Doch das ist echt und geht so:

Mit dem Flixbus kann man bequem von vielen deutschen Städten bis nach Kiew fahren. Von Berlin werden zum Beispiel täglich 36 Fahrten angeboten. Von Erfurt aus lediglich fünf. Nur momentan mitfahren kann man nicht, denn die Busse sind bis auf mehrere Wochen hinaus ausgebucht und da beginnt der gemeine Putinversteher und AfD-Sympathisant zu rechnen. Durchschnittlich passen in einen Bus rund 45 Fahrgäste (Doppelstockbusse nicht mitgerechnet). In einer Woche reisen also aus dem beschaulichen Erfurt exakt 1.440 Menschen nach Kiew. Aus Berlin sind es immerhin schon 11.340. Rechnet man die anderen Abfahrtsorte in Deutschland hinzu, ist das schon eine mächtige Reisebewegung. Es ist vermutlich wie Tourismus. Während der gemeine Germane sich Mallorca, Side oder Kroatien oder die Ostsee als Ziel aussucht, ist es für die Businsassen Tourismus der etwas anderen Art. Nur: ist das touristische Ziel nun die Ukraine oder ist es Deutschland?

Das ist die Frage, die gestellt werden sollte. Und es muss die Frage erlaubt sein, warum erst aus den Wirren eines schrecklichen Krieges mit Kriegsverbrechen geflohen wird, um dann per Bus mal einen Abstecher in genau dieses Kriegsgebiet zu machen? Ich kann sie mir vernünftig nicht beantworten, genauso wie die Frage, warum Flüchtlinge aus Syrien, die fünf oder sechs Jahre in Deutschland Asyl bekommen, hin und wieder in Syrien Urlaub machen und ihre Verwandten dort besuchen?

Zurück zu Friedrich Merz. Der hatte am Montag Klartext geredet und musste sich gestern dafür entschuldigen. Das ist an sich schon schlimm. Noch schlimmer für mich ist, dass er es auch getan hat. Der Mann ist nicht der Heiland der CDU, er wird beliebig und austauschbar. So wie die "jungen" CDU-Ministerpräsidenten in den alten Bundesländern, so wie eine CDU-Spitze in Thüringen, die sich einer von den LINKEN geführten Minderheitsregierung unterwirft, nur um am klitzenkleinen Zipfel der Macht zu lecken.

Die CDU in dieser aktuellen Verfassung hat für mich keinen Markenkern mehr. Er ist punktuell an der Basis vorhanden, aber die wurde nur gebraucht, um Friedrich Merz in sein aktuelles Amt zu hieven. Jetzt, da er dieses Zwischenziel erreicht hat, ist er wie viele andere - ein Politiker ohne Rückgrat.
Peter-Stefan Greiner
Autor: psg

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